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Austausch mit organisierten Heimarbeiter*innen – Anukatham Gewerkschaft. © FEMNET

Erste Indienreise seit Corona - lebhafter Austausch mit FEMNET-Partnerorganisationen

Nach zwei Jahren Reisestopp fuhren Daniela Wawrzyniak, Koordinatorin der FEMNET-Auslandsprojekte, und Gisela Burckhardt, Vorstandsvorsitzende von FEMNET, vom 22. Mai bis 01. Juni 2022 für 10 Tage nach Tirupur in Tamil Nadu und nach Bangalore. Sie besuchten unsere Partnerorganisationen SAVE, READ, Munnade, GLU und Cividep und bringen viele Eindrücke mit.

Gisela Burckhardt fasst ihre Eindrücke für Sie zusammen:

So lange haben wir unsere Partnerinnen in Indien nicht gesehen! Es war schön, sich persönlich und nicht nur über Zoom zu sehen und auszutauschen. Jedes Mal neu fasziniert und gleichzeitig auch erschlägt mich ein bisschen das quirlige Indien. Unglaublich viele Menschen sind auf den Straßen, die Frauen wunderschön gekleidet in ihren bunten Shalwar Kamiz oder Saris. Man sieht viele junge Menschen in Bussen, in Restaurants, überall ist das Hupen der Autos und Motorräder zu hören. Bürgersteige haben zahlreiche Löcher, in die man hineinfallen kann, wer nicht muss, geht nicht zu Fuß. Man spürt, dass wir in Europa langsam vergreisen, wenn man das quirlige Leben in Asien erfährt. In Stoffgeschäften oder auf dem Markt gibt es Unmengen an Angeboten von wunderschönen Stoffen für alle Gelegenheiten und die Nachfrage ist groß, Menschen drängeln sich zwischen den Tischen hindurch.

Besuch bei SAVE und in einer Spinnerei

Unterwegs durch SüdindienUnterwegs in Südindien. © FEMNETWir hatten Glück: es hatte vor unserer Ankunft geregnet, der Höhepunkt der Hitzewelle war überstanden, dennoch waren es in Tirupur noch 33 Grad, in Bangalore dagegen angenehm warm um die 25 -28 Grad. Bei SAVE führten wir Gespräche über verschiedene Projekte: die Bündnisinitiative Tamil Nadu war ein Thema, die im Rahmen des Textilbündnisses durchgeführt und von FEMNET betreut wird. So besuchten wir auch eine Spinnerei, sprachen mit dem Management, u.a. auch dem Präsidenten der Fabrik, und machten deutlich, dass es vom Kopf des Unternehmens abhängt, ob Beschwerdekomitees wirklich effektiv funktionieren, Trainings allein können dies nicht bewirken. Auf dem Gelände der Spinnerei befindet sich auch das Hostel für die vielen Migrant*innen aus dem Norden Indiens, die hier übernachten. Das Hostel war gut gepflegt, es gab pro Zimmer eine Toilette und einen Waschraum für die ca. 8-10 Frauen, die auf Matten auf dem Fußboden schlafen. Bis zu 80% der Belegschaft sind Migrant*innen, die zudem verschiedene Sprachen sprechen, eine große Herausforderung für alle Beteiligten.

SAVE ermöglichte uns auch ein Treffen mit 14 Frauen, die Heimarbeiterinnen organisieren. Diese Frauen arbeiten von zuhause aus: sie sticken, nähen Labels ein, schneiden Fäden ab uvm. und sind den Agenten oft ausgeliefert was die Bezahlung ihrer Arbeit betrifft. Der Agent bringt ihnen die Kleidung und holt sie auch wieder ab. Die meisten haben früher in einer Fabrik gearbeitet, mussten die Arbeit aber aufgeben, weil die Kinder nicht betreut werden konnten. Weil die Agenten die Frauen pro Stück unterschiedlich bezahlten, begannen sie sich zu organisieren, führten sogar einmal einen Streik für eine Woche durch und erreichten eine Erhöhung der Bezahlung. In der Regel erhalten die Frauen für 12 Stück zwei Rupies (entspricht 0,14 Cent).

Austausch mit READ

Besuch bei READ: Heimarbeiterin und Dalit-Frau mit Kind beim TreffenBesuch bei READ: Heimarbeiterin und Dalit-Frau mit Kind beim Treffen. © FEMNETEinen weiteren Austausch gab es mit der NGO READ in Tirupur, die sich für die korrekte Bezahlung von Frauen einsetzt und sie vor allem darin unterstützt, dass die Fabriken Sozialabgaben (Kranken- und Altersversicherung) abführen. FEMNET unterstützt READ in diesem Projekt. Bisher wurden 40 Frauengruppen beraten und durch Beschwerden in den letzten drei Monaten rund 1308,- EUR an die betroffenen Frauen ausgezahlt. Mit dem Leiter von READ tauschte ich mich auch zum deutschen Lieferkettengesetz aus, wo es möglicherweise in Zukunft zu einer Zusammenarbeit kommt.

Treffen mit GLU in Bangalore

Das GLU Team, links Präsedentin Rukmini. © FEMNETDas GLU Team, links Präsedentin Rukmini. © FEMNETNeben Munnade und Cividep, mit denen wir uns viel über aktuelle Projekte austauschten,  trafen wir uns auch mit Rukmini, der Präsdidentin der Garment Labour Union und besprachen mit ihr die Vorbereitung ihrer Reise nach Deutschland, wo sie am 20. Juni den Menschenrechtspreis der Stadt Bremen auf Vorschlag von FEMNET erhalten wird. Sie ist die Präsidentin der einzigen von Frauen geführten Gewerkschaft (Garment Labour Union =GLU) in Indien. Wir tauschten uns lebhaft mit den zahlreichen Gewerkschafterinnen aus, die gekommen waren, um uns zu treffen. Als größtes Problem nannten sie die hohen Zielvorgaben, die täglich vom Fabrikmanagement vorgegeben werden, die aber nicht in der normalen Arbeitszeit zu schaffen sind. Bis zu 120 Stücke müssen sie täglich schaffen, doch machbar sind maximal 100. Dies führt zu Druck und Stress bei allen Beteiligten, oft zu Beschimpfungen der Frauen, manche werden auch vor anderen bloßgestellt. Andere Probleme sind der zu geringe Inflationszuschlag, die verspäteten Fabrikbusse, die die Frauen abholen und nach Hause bringen, die vielen Überstunden ohne Bezahlung. GLU hat die Frauen in ca. 25 Fabriken organisiert, sie fühlen sich gestärkt durch die anderen.

Treffen mit den Frauen der NGO Munnade, Bangalore

Das Team von Munnande mit Gisela Burckhardt und Daniela Wawrzyniak.Das Team von Munnande mit Gisela Burckhardt und Daniela Wawrzyniak. © FEMNETInsbesondere nach der langen, pandemiebedingten Pause wird deutlich, wie wichtig der persönliche Austausch mit unseren Partner*innen im Globalen Süden ist. Um eigene Eindrücke weiterzugeben, Probleme zusammen angehen und nach Lösungen suchen zu können – und letztlich aus der gemeinsamen Arbeit Kraft und Inspiration zu ziehen, um weiterhin bedingungslos für unsere Ziele einzustehen.

 

Gisela Burckhardt, 13.6.2022

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